Text: Frieda spielt…

Der Fotograf Manfred Scharnberg hatte mich gebeten, etwas beizutragen, zu seiner Ausstellung „Von heute auf morgen“. Keine Laudatio sollte es sein, sondern etwas, das zum Thema passt – der Osten und der Westen, die Wiedervereinigung und was dann kam, im weitesten Sinne. Die Chance hab ich gern genutzt um die politischen Diskussionen zu dokumentieren, die ich derzeit mit meinem vierjährigen Enkelkind führe. Es ist möglich, dass ich das eine oder andere nicht ganz wahrheitsgetreu aufgeschrieben habe, es ist auch möglich, dass sich im Stil ein gewisses Känguru und ein gewisser Kleinkünstler wiederfinden, aber das ist ja nicht schlecht, sondern eher eine Verbeugung.

I.

Als ich ins Wohnzimmer komme, das Kinderzimmer wird, wenn Frieda zu Besuch ist im Haus am Hang, spielt das Kind Bodenreform.

Frieda ist vier, schaut am liebsten Geschichtsdokus auf Youtube und auf den letzten Metern eines jeden Tages schiebt sie sich seit ein paar Wochen die Stimmen von Dirk Oschmann oder Sascha Kowalczuk vom Handy auf die Lautsprecher am Bett und schläft entrüstet ein.

Sag mal Opa, fragt Frieda, wenn eine gesellschaftliche Umwälzung ansteht und sich Besitzverhältnisse ändern… Ja, frage ich zögerlich… und es danach einem schlechter geht, aber ganz vielen anderen besser, dann ist das doch unterm Strich gut, oder?

Im Prinzip ja… sage ich, aber der eine wird das dennoch nicht gut finden. Und wenn der das nicht gut findet gibts Streit und Streit ist nicht gut. Ich nehme den LPG-Vorsitzenden aus Plaste mit seinem Plastetraktor und der Plaste-Ernte auf dem Anhänger und schiebe ihn in Richtung der kollektiven Scheune.

Aber, sagt Frieda, wenn es dem einen vorher nur deshalb gut ging, eben weil die anderen schlechter dran waren, dann könnte der eine sich doch nicht beschweren, dass er nach einer gesellschaftlichen Umwälzung mit Änderung der Besitzverhältnisse nun nur noch so gut dran ist, wie alle anderen auch.

Im Prinzip ja, sage ich, aber wenn einem was gehört, dann gehört es ihm eben. Kann man ihm nicht so einfach wegnehmen. Kennste ja aus dem Kindergarten.

Ich ahne, dass ich mich mit dem letzten Satz argumentativ in ein Dilemma manövriere, kann aber nichts dagegen tun…

Aber im Kindergarten, sagt Frieda, da gehört doch alles Spielzeug allen. Und wenn ich mit dem Roller fahren will, dann nehme ich den Roller und wenn den dann schon ein anderes Mädchen hat, dann warte ich halt und fahre später. Und mir geht’s gut und dem Mädchen auch. Weißt Du Opa, ich habe manchmal den Verdacht, dass das mit dem Kapitalismus keine so gute Idee war.

Naja, sag ich, aber ohne Kapitalismus hättest Du zum Beispiel viel weniger Spielzeug, weil andere, die jetzt kein Spielzeug haben, dann etwas von Deinem bekommen müssten.

Frieda überlegt kurz, murmelt „Stockholm-Syndrom“, schaut auf die Spielzeug-LPG, die vor ihren Füßen eine Ernteschlacht gewinnt und fragt: Opa, warum habt Ihr Euch eigentlich damals so über den Tisch ziehen lassen, vor 34 Jahren?

II.

Als ich ins Wohnzimmer komme, das Kinderzimmer wird, wenn Frieda zu Besuch ist im Haus am Hang, spielt das Kind Treuhand.

Frieda ist vier und die Betriebe, die sie in den letzten Tagen akribisch aus Holzbausteinen hochgezogen hat zwischen Couch und Bücherregal, lässt sie nun einen nach dem anderen einstürzen.

Schade um die Mühe, sage ich und versuche zumindest die kollektive Scheune der LPG aus dem vorherigen Text zu retten.

Du bist doch Ossi, sagt Frieda, es ist keine Frage, mehr eine Feststellung und als ich nicke schaut sie mir tief in die Augen und schiebt, ohne den Blick abzuwenden, ganz langsam, so wie sie es auf Instagram gesehen hat, bei einer Katze, mit dem kleinen Finger den entscheidenden Fundamentstein aus dem Mestliner Kulturhaus. Krawumm.

Du hast schlechte Laune, sage ich. Willste ein Eis?

Aber vom guten. Komm mir nicht mit Hexenkerzen. Heute bin ich Rohwedder.

Du hast heute sehr schlechte Laune, stelle ich fest.

Ich hab gestern im Fernsehen einen gesehen, sagt Frieda, der hat gesagt, dass die aus dem Westen erwartet haben, dass die aus dem Osten nach 1990 so sein sollten, wie sie selbst sich sehen. Also wie die aus dem Westen sich selbst sehen. Und die aus dem Osten haben sich dann auch redlich bemüht. Und das hat mich traurig gemacht, was für Verlierer und ich bin ja genau genommen auch Ossi und das macht mich traurig und ich will nicht traurig sein, also spiel ich Treuhand.

Den nächste Fundamentstein schnipst Frieda mit dem Finger aus dem VEB Lederwaren und Zack: Bausteinruine.

Ich muss erstmal durchatmen. Du weißt aber dass das mit Rohwedder kein Happy End hatte, frage ich. Und Du weißt auch, dass das Treuhandgesetz noch vom letzten DDR-Parlament beschlossen wurde.

8.500 Betriebe… vier Millionen Leute. Googeln kann ich auch, knurrt das Kind.

Ich reiche ihr ein Eis – eine Hexenkerze. Frieda schreit und tobt.

Zehn laute Minuten später habe ich zwei Hexenkerzen gegessen und Frieda was vom guten Eis aus dem Eisschrank geholt.

Sie setzt ihr Rohwedder-Gesicht auf. Siehste, Bisschen Druck und der Ossi springt.

Ich sag jetzt reichts aber und das muss aufhören, wir können ja gern spielen, aber nur, wenn wir beide die Guten sind. Wir bauen jetzt einfach was Neues, was, das Dir und mir gefällt und danach gucken wir das mit den Hunden, die für jeden jedes Problem lösen. Darfst auch Dein Skye-Kostüm anziehen.

Und weil ich mich bereits den Bausteinen zugewandt habe, sehe ich nicht, wie es kurz geldscheinfarben glänzt in Friedas Augen und weil ich ein Lied summe, höre ich nicht, wie Frieda kurz bevor sie ein freundlicher rosa Hund wird, zischt: Bisschen Druck und der Ossi springt.

III.

Als ich ins Wohnzimmer komme, das Kinderzimmer wird, wenn Frieda zu Besuch ist im Haus am Hang, spielt das Kind Ausstellungseröffnung.

Ich frag mich wie das gehen soll, sag ich, immer noch etwas beleidigt wegen der Treuhand-Sache im vorigen Text. Das Kulturhaus hast Du ja in Schutt und Asche gelegt.

Längst wieder aufgebaut, trällert Frieda und hängt briefmarkengroße Bilder an Bauklötzer aus hellem Holz.

Soll ich ein paar Tafeln malen, auf denen erklärt wird, was Deine Bilder bedeuten sollen, frage ich.

Opa, sagt Frieda und es klingt herablassend. Kunst, die man erklären muss, ist keine Kunst.

Und wenn wir lieber eine Dokumentation machen? Mit Fotos und so? Dann könnte ich der kluge Journalist sein, der die Fakten recherchiert.

Hab ich schon einen für, sagt Frieda und zeigt auf Wolfgang. Wolfgang ist ein Kastanienmännchen, das Winter, Frühjahr und Sommer überlebt hat und nun plötzlich eine neue Aufgabe hat.

Du könntest was von Dir als Ossi erzählen. Und wie Du dann ein Wessi geworden bist, sagt Frieda. Zur Eröffnung. Immerhin hast Du noch Sekundärrohstoffe gesammelt für die Freilassung von Nelson Mandela, hast beim Pfingsttreffen getanzt und den Fackelzug mitgemacht.

Auf die nächste Briefmarke malt Frieda Hammer und Sichel, aber zerbrochen. Und, sagt sie, du könntest erzählen von Bombendrohungen, Baseballschlägern, Dorfdisko und Schulclubkoma.

Und dann? Frieda ahmt die Stimme der Borg nach, dieser Maschinenrasse, die bei Star Trek die Handlung über Staffeln am Laufen hält: „Sie werden assimiliert“

Frieda sag ich, so wie ich „Zähne putzen und ab ins Bett“ sage, das ist doch Quatsch – mit vier Jahren so etwas beurteilen zu wollen, assimiliert, was heißt assimiliert, ich lebe jetzt 34 Jahre im Osten im Westen und im Osten im Osten hab ich nur sechzehn gelebt, was heißt denn da assimilieren. Ich bin zusammengewachsen. Und außerdem will gar keiner wissen, wer oder was ich bin, ich denke, wir spielen Ausstellung und ich soll was kluges sagen.

Frieda hat inzwischen ihre Star-Trek-Uniform aus dem Schrank geholt und während sie sich in die hautengen Hosen zwängt sagt sie, ich jedenfalls fliege jetzt durchs All… nur aus Neugier, alle auf der Enterprise sind gleich und arbeiten nur, um sich zu verbessern. Und überall ist Kunst, Malerei, Musik, Poesie.. Willste mit?

Ach lass mal sag ich. Ich hab Rücken und muss das Haus abbezahlen. Mach mal Raumschiffkommunismus, wir sprechen uns wieder, wenn Du 50 bist.

Ich denke nicht, sagt Frieda, ich denke nicht.

1 thought on “Text: Frieda spielt…

  1. TJ. says:

    Na schick!
    Grüß mal Frieda und Dich selbst so von mir.
    Die Tage, also in den nächsten Wochen irgendwann, wenn es mich nach Wismar führt, mit der Holden, melde ich mich mal.
    Und vielleicht findest Du Zeit und wir kommen vorbei und dann spielen wir weder Wiedervereinigung noch übern Tisch ziehen sondern in alten Zeiten schwelgen.
    Das wär was.
    Gern auch mit der Göre, die Du in Bremen besangst…

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