Ich bin ungeduldig. Sehr, sehr ungeduldig. Ich möchte in Monaten nachholen, was ich in Jahrzehnten versäumt hab. Ich möchte eine Sprache wiederfinden. Eine Sprache, die mich schon immer begleitet hat, die aber zu sprechen ich einerseits nie gefordert war und mir andererseits selbst nicht in den Sinn gekommen ist. Bis jetzt.
Vaddern ist der letzte plattdeutsche Muttersprachler in meiner Familie, doch war und ist er weder Platt-Aktivist noch Pädagoge und ließ deshalb mich unbehelligt mit seiner Sprache. Und auch ihm tönen, davon gehe ich aus, noch heute die Sätze seiner Kindheit im Ohr: Sprich Hochdeutsch. Sonst wirst Du nichts, hieß es da. Vaddern sprach Hochdeutsch und wurde etwas. Und seine Mutter, sein Vater, Bauern ohne Scholle, haben sicher auch immer wieder gehört: Sprecht Hochdeutsch mit den Kindern, sonst kommen sie in der Schule nicht mit, sonst werden sie für schlicht im Geiste gehalten. Das war so nicht nur im Dorf am Ende der Straße, sondern in Ost und West, hab ich gelernt.
Eine Sprache im Wachkoma?
Nach 1945 begann der Stillstand, die Sprache hörte auf, sich weiter zu entwickeln. Das Plattdeutsche verschwand nach und nach aus der Öffentlichkeit und als den Nordlichtern bewusst wurde, was damit eigentlich verloren geht, war es im Prinzip schon zu spät. Das alles hier auszubreiten, führt hier zu weit, aber wir alle kennen das Ergebnis: die Muttersprachler sind vorsichtig formuliert nicht mehr jung, diejenigen, die Platt verstehen und Interesse haben, finden keine Gelegenheiten das Sprechen zu üben und die Kinder, die Platt hier im Nordosten bis zum Abitur lernen können, haben die Bühne noch nicht betreten. Es ist verzwickt.
Doch ich wollte ja von mir reden: Seit Februar also lerne ich Plattdeutsch. Unterricht, Schwatzstunde, Online-Seminar, lesen, viel lesen und alles, was es zu hören gibt auf Platt, höre ich. Und jetzt kommt der Moment, an dem ich das Gefühl habe, mich rechtfertigen zu müssen, der aber auch meine Ungeduld erklärt und vielleicht auch, warum ich diesen Eintrag hier auf der Seite so lange vor mir hergeschoben habe.
Neuer Job – alte Sprache
Ich habe die Seiten gewechselt. Nach 15 Jahren als freier Mitarbeiter beim NDR bin ich nun fest angestellt. Ich arbeite in der Kulturredaktion und bin neben vielen anderen Sachen zuständig für die Plattdeutschen Inhalte. Konkret: für die fast 40 Jahre alte, plattdeutsche Talkshow mit dem wunderbaren Titel „Plappermoehl“, für eine Sendung namens Klönkist, eine Stunde interessante Leute und gute Geschichten – monothematisch. Und für die Magazinsendung „Plattdüütsch an´n Sünndag“. Darüber hinaus koordiniere ich die plattdeutschen Fernsehbeiträge, die wir der Sendung „De Norden op Platt“ beisteuern. Und halt noch viel Kleinkram – auch kurze Moderationen, aufgezeichnet natürlich.
„WAAAAAASSSS????, höre ich Sie entsetzt rufen… ein Hochdeutscher kümmert sich ums Plattdeutsche, beim NDR in Schwerin? Ähem… ja. Warum ich glaube, dass das in Ordnung ist? Naja… das journalistische Handwerk bleibt Grundlage der Arbeit, da ändert sich also nichts. Alle Abläufe hier im Sender kenne ich seit 15 Jahren, passt also auch. Außerdem kann ich Platt immerhin so gut lesen und verstehen, dass ich Inhalte beurteilen kann. Und für alles andere habe ich geradezu umwerfende Reporterinnen und Reporter. Sie kennen das Land, sie sprechen Platt, sie sind sicher auf der Talkshowbühne, haben Kontakte überall dorthin, wo Platt eine Rolle spielt. Und weil meine Aufgabe ja nun ist, ihnen ungestörtes Arbeiten zu ermöglichen und dafür zu sorgen, dass die großartigen Geschichten der Kollegen auch unter die Leute kommen, hätte ich eh kaum Zeit, etwas selbst zu machen.
Die Sache mit der Ungeduld
Aber ja: Dass ich diese Stelle bekommen habe, hat letztendlich dazu geführt, dass ich nun voll Ungeduld lerne. Denn ich bin ja nicht in meinem Job, um ausschließlich zu planen, Ideen zu haben und zu verwalten. Ich will raus, mit Menschen reden, ich will Radio, Fernsehen und Internetzeug machen. Auch auf Platt. Besser heute als morgen. Am liebsten jetzt gleich. Und dann sitze ich da, mit meiner Lehrerin und hab immer noch nicht im Blut, wie das mit Perfekt, Plusquamperfekt und Futur im Plattdeutschen läuft, dann rede ich mit meinem nachsichtigen Plattdeutsch-Freund und Kollegen und die richtigen Wörter wollen nicht auf die Zunge und dann schreibe ich Platt und die Rechtschreibung ist eine Katastrophe… Ungeduld.
So, jetzt ist es also raus. thom* liehrt Platt und Platt wehrt sich. Aussprache klappt ganz gut, auch die Zahlen krieg ich mittlerweile hin, Tarnows Köster Klickermann ist ausgelesen und Reuters „Ut mine Stromtied“ fast durchgehört. Ich stehe auf mit Musik der Tüdelband und Beats der „De fofftig Penns“ und gehe schlafen mit der Frage, ob „Fickfackerie“ wirklich ein Wort ist, das gut in die Nachrichten passt. Nur wo ist die Gelegenheit zu reden? Wo ist Plattdeutschland? Ich suche noch und halte Sie, liebe Leserin, lieber Leser, auf dem Laufenden.
Ick kann blot gratulieren, so as mit jede anner Fremd-sprak ok möt man losleggen ahn Bang tau hebben, ok, wenn nich ümmer allens gliek richtig is. Väl Spaß wiederhen.
Solange ich bei Dir nachfragen kann, wenn ich nicht mehr weiter weiß, bin ich nicht bang…