Gelesen: Steffen Dobbert – #Heimatsuche

Steffen Dobbert ist zurückgekehrt. Nach Mecklenburg-Vorpommern. Und ich weiß nicht, ob ich eigennützig mich freuen soll, oder ob es nicht fairer wäre, ihm das erste Lied des neue Danger-Dan-Albums vorzuspielen, in Dauerschleife. „Lauf davon, lauf davon, lauf davon /// Lauf davon, so schnell du kannst, bevor sie dich bekommen“. Nachdem ich sein Buch gelesen habe, tendiere ich zu Danger Dan und dem Lied mit der Klavierbegleitung. Aber das gibt sich wieder. Read on, my dear…

In 80 Tagen ist Steffen Dobbert, Jahrgang 82, aufgewachsen in Gadebusch, durchs Land gereist, hat Orte besucht und Menschen getroffen. Hat sich Konflikten ausgesetzt und Schönheit genossen. Hat Erschreckendes, Beglückendes erlebt und aufgeschrieben. Hat den Nordosten, die Gegend, in der er aufgewachsen ist, neu entdeckt und nebenbei, wie ein echter Feuilletonist es formulieren würde, ein Sittengemälde des Landes gemalt. Dabei zeigt er selbst sich oft verletzlich und ein Roter Faden, der das Buch durchzieht, hat zu tun mit Tod, Schmerz, Depression. Und so lese ich zumindest immer auch die Narben mit, die es geben muss, nach dem, was Steffen Dobbert da erzählt in den persönlichen Passagen.

Doch das ist nur die eine Seite. #heimatsuche liest verschwenderisch sich und prall. Der Autor macht die Kelle randvoll und leert sie mit Schwung. 80 Tage in einem Buch, das heißt auch, hunderte kleine Episoden, angerissen, nicht auserzählt – darin ist das Buch wie ein Instagram-Account, voller Momentaufnahmen, klug verkürzte Wahrnehmung, atemlos fast. Ich lerne Menschen kennen, deren Geschichten mich gerade soweit interessieren, wie es die Dramaturgie haben will, denn bevor meine Neugier drängend wird, sitzt Steffen Dobbert schon wieder im Bus namens Waldemar und rauscht davon.

Waldemar hält, wo immer es etwas zu erzählen geben könnte, auf den Inseln und im Hinterland, in der Seenplatte, nahe der Grenzen, vor Amtsstuben und Gutshäusern, auf Festivals und vor Friedhöfen. Steffen Dobbert trifft Historiker, Rassisten, Polizisten und Nackte, Rechtsextreme, Demokraten und Scheindemokraten, Künstler und Überlebenskünstler, Geflohene und Angekommene, hochrangige Politiker, einen Punk vom Pfaffenteich. Und hebt am Ende noch ausführlich einen Skandal aufs Tapet: es geht um einen ehemaligen Innenminister und sein Ferienhaus auf Usedom, um Gefälligkeiten unter Mächtigen und um Klüngel, den Korruption zu nennen, wohl nur juristisch noch infrage zu stellen ist.

Eine besondere Kraft bezieht das Buch aus der Auswahl der Geschichten, die Raum bekommen. Wie gesagt, vier Bände, vielleicht mehr hätte diese Reise ergeben können, so zumindest liest sich die Heimatsuche, geworden sind: 265 Seiten mit Bildern zwischendrin. Ein Beispiel: Lichtenhagen – die Pogrome in den 90er Jahren. Was für eine Geschichte. In einer Zufallsbegegnung erhascht Dobbert sogar den Blickwinkel derer, die dabei waren, mit Brandsätzen in den Händen und Steinen, die auch heute nichts bereuen, die losgegangen waren auf Menschen, die nichts anderes wollten, als ein neues Zuhause. Die Opfer wiederum bekommen eine starke Stimme, so wie diejenigen, die mutig geholfen haben und dafür sorgten, dass es keine Toten gab, in dieser Woche in Rostock-Lichtenhagen. Dabei lässt Dobbert mit seinen Recherchen keinen Zweifel daran, dass hier nicht nur die Zivilgesellschaft, sondern vor allem der Staat versagt hat – im Vorfeld, währenddessen, danach.

Auf der anderen Seite: Konfrontation. Steffen Dobbert geht dahin, wo es weh tut. Wo es jedem Menschen mit Anstand im Leib weh tun muss: auf Zusammenkünfte der AfD in Kneipensälen und Hotels, auf ihre Demonstration in Rostock, nicht weit entfernt vom Sonnenblumenhaus – dem Zentrum der Lichtenhagener Pogrome in den 90ern. Er lässt sich von der Polizei schikanieren und von einem Saal verhöhnen, bleibt auch dann noch, wenn bei einem Abend am Grill die Leute klagen über gekaufte Medien, über Deutschland als Diktatur und die gesteuerte Meinung. Es scheint, als redeten sie besonders ungeschönt mit ihm, dem Reisenden – Leute beim Grillen, aber auch Politiker in Ämtern.

Ein Kommunalpolitiker setzte übrigens durch, dass das Buch ein paar Schwärzungen bekommen hat. Die neutrale, aber sehr euphemistische Formulierung könnte sein: „Er fühlte sich falsch dargestellt“. Das Ganze bewegt sich auf juristischer Ebene, wer sich dafür interessiert: was dazu öffentlich zu sagen ist, sagt Steffen Dobbert im Wellenrauschen-Podcast.

Immer wieder tritt das Politische beiseite, kreuzt die Spurensuche vergangene Lebenswege. Die Wohnung in Schwerin, die Schule in Gadebusch, die Freunde aus der Fußballmannschaft, die Schwester einer frühen Freundin und immer wieder: das Wasser der Seen, der See. Der Autor badet viel, fühlt sich, gibt sich hin, sinnt nach, schreit, schweigt, offenbart und hält geheim. Manches schien mir dabei etwas dick aufgetragen und ich gebe zu: ein paar mal habe ich „Schnösel“ gedacht, beim Lesen. Vielleicht hätte das Lektorat diese Störgeräusche im Text beseitigen können – vielleicht bilde ich sie mir auch nur ein und bin in Wahrheit angesteckt worden über die Jahre, von der generellen Vorsicht, die der Mecklenburger im Umgang mit urban geprägten Weltbürgern an den Tag legt.

Im Ganzen nämlich halten sich Mensch und Journalist Dobbert durchaus die Waage, und am Schluss die Geschichte um den ehemaligen Innenminister lässt das Pendel viel mehr noch in Richtung Journalismus ausschlagen. Hier erlebe ich die Recherche und erfahre das Ergebnis. Es folgt zwar noch ein heimatsuchend-reflektierendes Ende, doch hängen bleibt: hier hat ein Journalist seine Arbeit gemacht.

Funfact: so intensiv, wie die Polizei den gestohlenen Bootsmotor des ehemaligen Innenministers gesucht hat, ist ganz sicher noch nie nach einem Bootsmotor gesucht worden. Woher ich das weiß? Herr Dobbert hat sich die Akte besorgt.

Doch warum hat mich das alles bewegt? Es gibt Parallelen, auch wenn Steffen Dobbert und mich acht Jahre trennen, was mit Blick auf Wende und Nachwendezeit viel ist, und mein Opa vom Dorf nicht Jochen sondern Ernst hieß. Auch ich bin weggegangen und wiedergekommen, hab das Land neu kennen gelernt und der Heimatbegriff hat mich lange beschäftigt. Meine Essenz: ein kurzes Gedicht veröffentlicht auf einer CD, 2002.

Heimat, als Heim, das man hat,
als Format, das man mag
als wunder Punkt, als Geruch, als Geschmack,
Heimat als Alltag, als Unwort, als Rest,
als Heimatabend, als Schützenfest
als Erinnerungsschnipsel, als Ahnengeäst,
do I have Heimat or am I a guest?

Und dann sind wir ja auch noch so etwas wie Kollegen. Steffen Dobbert schreibt über mein Land, mein Berichtsgebiet – mit anderer Perspektive. Und hier gehts für mich persönlich wirklich nochmal über das Buch hinaus und um die Frage, wann ist ein Journalist ein guter Journalist?

Steffen Dobbert wollte diesen Beruf, da war er noch gar nicht weg, aus der Provinz und hat, als er dann weg war, einen beeindruckenden Weg hingelegt, die ZEIT… das ist ja nicht irgendein Blatt, und wer mal kurz auf Steffen Dobberts Biografie guckt, hat lange zu lesen. Ich hingegen wusste lange nicht, was ich sein wollte, erst fünf Jahre nach dem Umzug aus Berlin zurück nach Schwerin bin ich in die Redaktion geplumpst und anders als Steffen Dobbert hatte ich nie den Hang, dahin zu gehen, wo es weh tut.

Natürlich habe ich mich oft gefragt, ob mein eigener Umgang mit dem Beruf richtig ist, ob ich mich nicht angriffslustiger, misstrauischer, distanzierter, investigativer durch die Welt arbeiten sollte, als ich es tue, mit noch mehr Haltung, angstfreier. Und ob es nicht besser wäre, nach Veränderung zu suchen, wenn äußere Zwänge mich hindern. Und dann kommt da einer und schreibt ein Buch davon, dass er genau das getan hat. Immer druff, bis die Nase blutet. Auf Heimatsuche! Das triggert.

Und lässt mich natürlich überlegen, was ich bisher übersehen habe. In den vielen Jahren als Reporter sind mir zwar echt schräge Leute untergekommen, aber kaum so offen menschenfeindliche Haltungen, wie sie Steffen Dobbert beschreibt. Meine eigenen Reporter-Erfahrungen im Land sind weitgehend positiv. Woran liegt es? Treten mir die Leute anders gegenüber? Weil NDR auf meiner Stirn steht? Oder ist es so, dass, Achtung schräge Metapher, wer nicht durchs Lagerfeuer hüpft, sich auch nicht verbrennen kann?

So vor Augen geführt zu bekommen, dass es einen Unterschied gibt zwischen meiner Arbeit als Lokalreporter und der Arbeit eines Journalisten, der in Kiew auf dem Majdan gestanden hat, als dort Schüsse fielen, macht, dass mir dieses Buch anders nahe geht, als viele andere Reisegeschichten aus meinem Land. Denn schon lange ist da das Gefühl, gerade jetzt bräuchte es mehr von der Haltung, die ich im Buch gefunden habe. Die Heimatsuche strahlt in ihrer Authentizität. Also, überspringen wir in der Playlist von Danger Dans aktuellem Album den ersten Song und gröhlen stattdessen am Lagerfeuer mit, wenn er singt: „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“. Und schließlich, ein Satz, den ich mal irgendwo aufgeschnappt hab: „Provinz – das ist doch ein Zustand im Kopf“.

PS: Ja, ich weiß, dass Steffen Dobbert aktives Mitglied ist bei den Grünen in Nordwestmecklenburg, er tritt auf Listenplatz 16 bei der Landtagswahl in MV an. Ich glaube nicht, dass es relevant ist für die Beurteilung des Buches – deshalb hier als PS.

2 thoughts on “Gelesen: Steffen Dobbert – #Heimatsuche

  1. Liane Römer says:

    Mir hat die Buchvorstellung „Heimatsuche“ am 17.10.21im SHH in Schwerin gut gefallen, die Mischung von Lesung und Musikbeiträgen ganz besonders. Da ich für den 14. November 2021 eine Veranstaltung mit Steffen Schneider („Mit Mut, Mörtel und ohne Millionen“/ Hinstorff) plane, hatte ich mich mit dem Sänger gleich verabredet, vergaß aber das Notieren der Kontaktdaten. Können Sie mir helfen? Vielen Dank, BG, Liane Römer.

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    1. thom says:

      Leider nicht. Aber Steffen Dobbert kann sicherlich helfen. Auf seiner Internetseite finden Sie sicher eine Kontaktmöglichkeit.

      Antworten

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